Homosexualität war im gesamten Deutschen Reich seit der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 strafbar.
Seit der Jahrhundertwende entstanden starke Initiativen und Vereine, die mit Petitionen für die Abschaffung des Paragraphen 175 kämpften. Ihr Ziel haben sie jedoch nicht erreichen können, auch nicht in der Weimarer Republik.
Ungeachtet dessen entwickelte sich in Berlin ein vielfältiges gesellschaftliches Leben der Homosexuellen, eine vielgestaltige Szene aus Bars, Lokalen und Treffpunkten, unterschiedlichsten Vereinigungen, Veranstaltungsreihen und Zeitschriften. Berlin wurde zum "Eldorado" des homosexuellen Lebens wie der Homosexuellenbewegung.
Die Verschärfung der Diskriminierung
Mit der "Machtergreifung" der Nazis wurden die Homosexuellen aus dem öffentlichen Leben verdrängt: Lokale wurden geschlossen, Vereine und Zeitschriften verboten. An der Tagesordnung waren Razzien, deren Opfer zeitweilig in KZs gesperrt wurden. Ab dem Februar 1934 konnten Homosexuelle, die auch vom Gewohnheitsverbrechergesetz (§ 20a) erfasst wurden, in Preußen nach einer einmaligen Verurteilung in "Vorbeugehaft" genommen werden. Wer daraus wieder freigelassen wurde, konnte polizeilich "überwacht" werden. Diese Überwachung konnte (gestaffelt) ein Verbot des Aufenthalts an bestimmten Örtlichkeiten beinhalten, ein nächtliches Ausgehverbot, ein Umzugsverbot, die Ablieferung eines Hausschlüssels bei der Kriminalpolizei und das Verbot des Besitzes eines Autos oder Motorrades.
Fernschreiben
der Gestapo mit Anordnung der Schutzhaft gegen einen
"unverbesserlichen Homosexuellen"
Der 39-jährige Hans R. stirbt wenige Wochen später
im KZ Sachsenhausen.
Bildnachweis: Potsdam, Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Die Verschärfung der Strafverfolgung
Als "Röhm-Putsch" wurde 1934 die Ermordung des bekanntermaßen homosexuellen SA-Chef Ernst Röhms und anderer Führungschargen der SA bezeichnet, was nachträglich (auch) mit deren Homosexualität gerechtfertigt wurde. Der Putsch gegen Röhm lieferte den Auftakt zur staatlichen Homosexuellenverfolgung.Am 28. Juni 1935 trat die neue Fassung des Paragraphen 175 RStGB in Kraft. Mit ihm entfiel die Notwendigkeit des Nachweises einer homosexuellen Geschlechtshandlung. Und der Paragraph 175a RStGB ergänzte diese Vorschrift um Bestimmungen für die homosexuelle Variante verschiedener Sexualdelikte, auf die nun die Zuchthausstrafe stand. Das Ziel dieser Verschärfungen war, eine "Verführung" zu verhindern - und damit die NS-Organisationen "rein" zu halten.
1936 wurde die "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung" beim Geheimen Staatspolizeiamt gegründet. Dieses Amt bündelte und koordinierte alle Diskriminierungs- und Verfolgungsmaßnahmen. Die folgenden Jahre brachten den Höhepunkt der Homosexuellenverfolgung. Dabei wurden gut die Hälfte aller Verfahren aufgrund von Denunziationen aus der Bevölkerung eröffnet.
Die Strafverfolgung während des Krieges
Mit Kriegsbeginn stand ein Großteil der Männer im Felde und unterlag damit der Wehrmachtsjustiz. Auch war ein großer Teil der Homosexuellen bereits verurteilt. Damit sank die Zahl der Verhaftungen und Verurteilungen vor Zivilgerichten ab 1940. Jedoch ließ die Intensität der Verfolgung nicht nach, und ihre Brutalität steigerte sich noch.Ab dem Sommer 1939 konnten Verurteilte die Freilassung aus der KZ-Haft erreichen, indem sie sich "freiwillig" kastrieren ließen - jedoch zog nicht jede Kastration auch die Freilassung nach sich, und auch im "Erfolgsfalle" blieb die "Überwachung". Ab 1940 konnte auf eine Haftstrafe "polizeiliche Vorbeugungshaft" folgen. Ab dem Herbst 1941 stand in der HJ, der SS und der Polizei "Unzucht" mit einem Mann unter Todesstrafe.
Fazit
Die "Rosa Liste" der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung erfasste schließlich etwa 100.000 Männer. Allein in Berlin sind 17.000 Männer vorgeladen und verhört worden - etwa jeder hundertste Berliner. Etwa 50.000 Männer wurden in Deutschland zu Haftstrafen verurteilt; in den KZs kamen zwischen 5.000 und 10.000 Homosexuelle um.In den Konzentrationslagern standen die Häftlinge mit dem Rosa Winkel auf der untersten Stufe der Lagerhierarchie - gemieden auch von den Häftlingen selbst. Das hatte zur Folge, dass sie meist für die gefährlichsten Arbeiten eingeteilt wurden und auf keinerlei Hilfe rechnen konnten.
Nach dem Krieg
Da die NS-Urteile nach §§ 175 und 175a nicht aufgehoben
wurden, mussten die Haftstrafen gelegentlich auch
nach der "Befreiung" noch weiter verbüßt werden.
Homosexuelle wurden nicht als "Opfer des Faschismus"
anerkannt.
Die Paragraphen 175 und 175a RStGB wurden in der
unmittelbaren Nachkriegszeit nicht aufgehoben. Allerdings
galt in der DDR der § 175 ab 1950 wieder in seiner
vorfaschistischen Fassung - der Paragraph 175a blieb.
In der BRD hatte weiterhin das nationalsozialistisch-verschärfte
Strafecht Gültigkeit. Entsprechend konnte es zu
keiner wirklichen Rehabilitierung oder gar Wiedergutmachung
kommen.
Statt dessen erreichte die juristische Strafverfolgung
Homosexueller allein in der BRD in den fünfziger
und sechziger Jahren Urteilszahlen, wie sie schon
der Faschismus hervorgebracht hatte. Die Geld- und
Haftstrafen fielen Anfang der fünfziger Jahre deutlich
milder aus, jedoch stiegen sie ab 1953 wieder erheblich.
Symbolische Geldstrafen, wie sie ebenfalls vorkamen,
waren seltene Ausnahme. Die Strafvollzugsordnung
blieb in der NS-Fassung bis 1969 bestehen. Einige
Homosexuelle kamen wiederum in die Moorlager, in
denen sie schon während der NS-Zeit Zwangsarbeit
hatten leisten müssen. Auch in den fünfziger und
sechziger Jahren bedeutete die Strafverfolgung die
massenhafte Vernichtung von sozialen Existenzen.
Und sie hinderte die homosexuellen NS-Opfer, wieder
eine individuelle Existenz aufzubauen.
Die Entkriminalisierung der "einfachen", einvernehmlichen
Homosexualität unter erwachsenen Männern erfolgte
nur zögernd. In der DDR trat 1968 der § 151 StGB
an die Stelle des alten § 175 RStGB. Er stellte
homosexuelle Handlungen (beider Geschlechter) zwischen
Erwachsenen und Jugendlichen unter Strafe. In der
Bundesrepublik wurde 1969 die "einfache" Homosexualität
straffrei, jedoch wurde ein Schutzalter für männliche
Jugendliche eingeführt (21 Jahre), das 1973 auf
18 Jahre abgesenkt wurde. 1988 wurde in der DDR
der § 151 StGB gestrichen und 1994 im wiedervereinigten
Deutschland der Paragraph 175 StGB.
Erst 57 Jahre nach der NS-Diktatur kam es zu einer
teilweisen Aufhebung der während der NS-Zeit wegen
homosexueller Handlungen ergangenen Strafurteile.
2002 wurden Verurteilungen nach §§ 175 und 175a
Ziffer 4 RStGB in die Liste der per Gesetz aufgehobenen
NS-Urteile aufgenommen (Änderung des NS-Aufhebungsgesetzes,
NS-AufhGÄndG vom 23. Juli 2002).
Zu einer Wiedergutmachung der Verbrechen an Homosexuellen
ist es bisher nicht gekommen. Diese Opfergruppe
wurde bis in die achtziger Jahre hinein totgeschwiegen
- und häufig wird sie es auch heute noch.